Verordnungsrechtliche Regelung des Kultusministeriums zur Lehrerausbildung vorläufig ausgesetzt: Vorschrift, die eine Zulassung zum Vorbereitungsdienst auf der Grundlage lediglich zweier Fächer auch für Bewerber vorschreibt, die ihr Lehramtsstudium mit einem Haupt- und zwei Nebenfächern absolviert haben, voraussichtlich verfassungswidrig

Datum: 25.01.2021

Kurzbeschreibung: Der Verwaltungsgerichtshof (VGH) hat mit heute den Beteiligten bekannt gegebenem Beschluss vom 25. Januar 2021 dem Eilantrag (u.a) von Absolventen der Ersten Staatsprüfung für das Lehramt an Werkrealschulen, Hauptschulen sowie Realschulen stattgegeben.

Mit einer am 04.11.2020 in Kraft getretenen Änderungsverordnung verfolgte das Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg (Antragsgegner) das Ziel, die Regelungen der Werkreal-, Haupt- und Realschullehramtsprüfungsordnung ll (WHRPO II) an die Umstellung der universitären Lehrerausbildung auf das Bachelor/Master-System anzupassen. Wesentlicher Inhalt der Änderung des § 4 Abs. 3 Satz 2 WHRPO II, die erstmals für Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärter gilt, die ihren Vorbereitungsdienst zum 01.02.2021 antreten, ist die Umstellung der Ausbildung im Vorbereitungsdienst und der abschließenden Prüfung auf zwei Ausbildungsfächer auch für Bewerber, die ihr Lehramtsstudium mit einem Haupt- und zwei Nebenfächern absolviert haben. Hiergegen wandten sich (u.a.) Absolventen der Ersten Staatsprüfung (Antragsteller) mit einem Eilantrag nach § 47 Abs. 6 VwGO.

 

Der Antrag hatte Erfolg. Der 9. Senat des VGH hat die angegriffene Regelung sowie damit zusammenhängende weitere Regelungen vorläufig außer Vollzug gesetzt.

 

Zur Begründung führt der 9. Senat aus: Die angegriffene Regelung sei voraussichtlich mit dem Grundrecht der Betroffenen auf freie Berufswahl (Art. 12 Abs. 1 GG) in Verbindung mit dem rechtsstaatlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes (Art. 20 Abs. 3 GG) unvereinbar. Entgegen der Ansicht des Antragsgegners seien die universitäre Lehrerausbildung und der Vorbereitungsdienst bei der - im Lichte des Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG gebotenen - funktionellen Betrachtung aufeinander zu beziehende Stufen eines einheitlichen Ausbildungsganges. Deshalb sei auch die geänderte Vorschrift der WHRPO II für Lehramtsstudenten bzw. Examinierte, die ihre Ausbildung auf Grundlage der Werkreal-, Haupt- und Realschullehramtsprüfungsordnung I (WHRPO I) aufgenommen hätten, im Sinne einer unechten Rückwirkung geeignet, die durch die Aufnahme bzw. den Abschluss eines Lehramtsstudiums erworbene Position zu beeinträchtigen. Zwar sei es auch in Fällen einer unechten Rückwirkung nicht ausgeschlossen, eine Prüfungs- oder Studienordnung mit Wirkung für die Zukunft zu ändern. Abhängig vom Gewicht der berührten Vertrauensschutzbelange könne es jedoch geboten sein, den Betroffenen z.B. durch Schaffung einer Übergangsregelung die Möglichkeit zu eröffnen, sich in zumutbarer Weise auf die Rechtsänderung einzurichten.

 

Diesen rechtlichen Anforderungen sei der Antragsgegner nicht gerecht geworden. Zwar ermögliche er durch die Übergangsregelung des § 9 Abs. 2 RahmenVO-KM Studienanfängern, die ihr Studium vor dem 01.08.2015 auf Grundlage der WHRPO I aufgenommen hätten, dieses unter den dort genannten Bedingungen - d.h. insbesondere unter Erwerb eines Studienabschlusses in einem Haupt- und zwei Nebenfächern - bis zum 31.03.2022 abzuschließen. Auch habe er es in Verbindung mit der bislang unverändert gebliebenen Regelung des § 4 Abs. 2 Satz 3 WHRPO II ermöglicht, die gewählte Fächerkombination auch im Rahmen des Vorbereitungsdienstes fortzuführen. Hiermit habe er jedoch einen Vertrauenstatbestand geschaffen, aufgrund dessen die Lehramtsstudenten und Absolventen darauf hätten vertrauen dürfen, ihren Vorbereitungsdienst jedenfalls bis zum ersten Einstellungstermin nach dem Auslaufen der Übergangsregelung zum 31.03.2022 unter Beibehaltung ihrer im Studium gewählten Fächerkombination aufnehmen zu können. Von der Möglichkeit, eine spezielle Übergangsregelung zu treffen und den Zeitpunkt der letztmaligen Zulassung zum Vorbereitungsdienst mit einem Haupt- und zwei Nebenfächern abweichend zu bestimmen, habe der Antragsgegner keinen Gebrauch gemacht. Seinem Vorbringen lasse sich auch nicht entnehmen, dass die Betroffenen darauf hingewiesen worden wären, dass eine Zulassung zum Vorbereitungsdienst auf Grundlage beider Nebenfächer bei Ausschöpfung der gesetzlichen Übergangsfrist nicht gewährleistet sein könnte. Dem Vertrauensschutzinteresse der Studierenden nach der WHRPO I trage voraussichtlich auch die seitens des Antragsgegners skizzierte Möglichkeit, die Lehrbefähigung im zweiten Nebenfach nach Einstellung in den Schuldienst nachträglich zu erwerben, nicht ausreichend Rechnung.

 

Insgesamt wäre der Antragsgegner voraussichtlich gehalten gewesen, eine spezielle Übergangsregelung für den Zugang zum Vorbereitungsdienst zu einem Zeitpunkt zu treffen (oder zumindest anzukündigen), zu dem es den Betroffenen - z.B. durch eine zügigere Studiengestaltung oder eine Bewerbung zum Referendariat unmittelbar nach Erwerb der Zulassungsvoraussetzungen - noch möglich gewesen sei, sich in zumutbarer Weise auf die Rechtsänderung einzurichten.

 

Der Senat verkenne nicht, dass die Notwendigkeit einer kurzfristigen Umstellung der bereits zum 01.02.2021 beginnenden Ausbildung für den Antragsgegner mit Härten verbunden sein dürfte. Die Kurzfristigkeit der Notwendigkeit einer solchen (erneuten) Umstellung sei im vorliegenden Fall jedoch im Wesentlichen der Änderung der WHRPO II weniger als drei Monate vor Beginn des Ausbildungsjahrganges 2021 geschuldet, so dass das Rechtsschutzanliegen der Antragsteller nicht zu einem früheren Zeitpunkt habe verwirklicht werden können.

 

Der Beschluss ist unanfechtbar (Az. 9 S 4060/20).

 

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