Eilantrag eines Fitnessstudios gegen Corona-Verordnung abgelehnt; Verfassungsmäßigkeit der Rechtsgrundlagen im Infektionsschutzgesetz offen; Corona-Verordnung bleibt anwendbar

Datum: 09.04.2020

Kurzbeschreibung: Der Verwaltungsgerichtshof (VGH) hat mit Beschluss von heute einen Eilantrag eines Fitnessstudios nach § 47 Abs. 6 VwGO gegen die Corona-Verordnung der Landesregierung (Antragsgegner) abgelehnt.

Das in Baden-Württemberg ansässige Fitnessstudio (Antragstellerin) hat in seinem am 27. März eingegangenen Antrag geltend gemacht, die von der Landesregierung herangezogene Ermächtigungsgrundlage in §§ 32, 28 Abs. 1 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) sei keine ausreichende Rechtsgrundlage für die Betriebsstilllegung. Diese verletze es in seiner Berufsausübungsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG.

 

Der 1. Senat des VGH hat den Antrag abgelehnt. Zur Begründung führt er aus:

 

Präventive Wirkungen der Bekämpfungsmaßnahmen zulässig

Die Argumentation der Antragstellerin, die Schließung von Betrieben und Verkaufsstellen könne als präventive Maßnahme nur auf Ermächtigungsgrundlagen aus dem 4. Abschnitt des Infektionsschutzgesetzes, insbesondere § 16 IfSG gestützt werden, treffe voraussichtlich nicht zu. Wenn eine übertragbare Krankheit festgestellt sei, könnten nach § 28 Abs. 1 IfSG die notwendigen Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung der Krankheit getroffen werden. Mit solchen repressiven Bekämpfungsmaßnahmen gingen zulässigerweise auch stets präventive Wirkungen einher, solche präventiven Folgen seien gerade bezweckt. Dabei ermächtige § 28 Abs.1 IfSG auch zu Maßnahmen gegenüber sog. Nichtstörern. Für die Rechtmäßigkeit der Schließung von Einrichtungen durch eine Rechtsverordnung sei daher unerheblich, ob gerade in diesen die Krankheit festgestellt worden sei.

 

Verfassungsmäßigkeit der Rechtsgrundlagen im Infektionsschutzgesetz offen

Offen sei, ob § 32 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1, 2 IfSG im Hinblick auf den Vorbehalt des Gesetzes in seiner Ausprägung als Parlamentsvorbehalt eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für die landesweite Schließung bestimmter Arten von privat betriebenen Dienstleistungsbetrieben und Verkaufsstellen durch eine Rechtsverordnung sei. Rechtsstaatsprinzip und Demokratiegebot verpflichteten nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts den Gesetzgeber, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen im Wesentlichen selbst zu treffen und diese nicht dem Handeln und der Entscheidungsmacht der Exekutive zu überlassen. Der Schutz der Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG erlaube Eingriffe nur auf der Grundlage einer gesetzlichen Regelung, die Umfang und Grenzen des Eingriffs deutlich erkennen lasse. Insoweit müsse der Gesetzgeber selbst alle wesentlichen Entscheidungen treffen, soweit sie gesetzlicher Regelung zugänglich seien.

 

Dafür, dass die Vorschriften der § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1, 2 IfSG die Voraussetzungen, den Umfang und die Grenzen dieses Eingriffs noch ausreichend erkennen ließen, könne die Auslegung dieser Vorschriften nach allgemeinen Regeln sprechen. Der Gesetzgeber habe sich mit § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG ganz bewusst für eine generelle Ermächtigung entschieden, um für alle Fälle gewappnet zu sein, da die Fülle der notwendigen Schutzmaßnahmen sich von vornherein nicht übersehen lasse. Gerade die Vielfältigkeit von Infektionsgeschehen durch ganz unterschiedliche Krankheitserreger könne dafür sprechen, dass eine genauere Bestimmung der insoweit zur Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten geeigneten und notwendigen Maßnahmen durch den Gesetzgeber kaum oder gar nicht möglich sei. Zudem könnten nach § 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG Veranstaltungen und sonstige Ansammlungen beschränkt oder verboten werden. Von dieser Befugnis seien auch Ansammlungen von Menschen in jeder Art von geschlossenen Räumen, also auch in Verkaufsstellen und Dienstleistungsbetrieben aller Art umfasst. Dies könnte dafür sprechen, dass deren Schließung von der Ermächtigung in § 28 Abs. 1 Satz 1, 2 IfSG, alle notwendigen Schutzmaßnahmen zu treffen und Ansammlungen zu verbieten, gedeckt sei. Denn bloße Kontaktbeschränkungen in solchen offen gehaltenen Einrichtungen wären kaum zu kontrollieren und deutlich weniger wirksam.

 

Die Schließung einer Vielzahl von Verkaufsstellen und Dienstleistungsbetrieben durch eine Rechtsverordnung sei jedoch von einer sehr beträchtlichen Eingriffstiefe. Die Intensität des damit verbundenen Eingriffs in die Berufsfreiheit sei für jeden einzelnen betroffenen Betrieb ausgesprochen hoch. Denn der Eingriff führe für sie für mehrere Wochen zu einem weitgehenden oder vollständigen Wegfall jeglichen Umsatzes. Den Betroffenen sei es zudem praktisch unmöglich, den Wirkungen dieses Eingriffs auszuweichen. Diese sehr gravierenden Auswirkungen könnten dafür sprechen, dass die Vorschriften der § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1, 2 IfSG wegen Verstoßes gegen den Parlamentsvorbehalt nicht verfassungsgemäß seien. Denn die in § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG enthaltene Befugnis zum Erlass der „notwendigen Schutzmaßnahmen“ sei nur begrenzt durch das Tatbestandsmerkmal der Notwendigkeit und durch den Halbsatz „soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist“. Die ausdrücklich geregelten Befugnisse bestünden nur in der Beschränkung oder dem Verbot von Veranstaltungen und Ansammlungen, der Schließung von Badeanstalten und Gemeinschaftseinrichtungen wie Kindergärten und der Verpflichtung, bestimmte Orte nicht zu verlassen oder nicht zu betreten.

 

Beschränkungen verhältnismäßig

Von dieser offenen, im Hauptsacheverfahren zu klärenden Frage abgesehen, sei die durch die Corona-Verordnung angeordnete Schließung von Betrieben und Verkaufsstellen zumutbar. Zwar würden die davon Betroffenen gravierende wirtschaftliche Einbußen erleiden. Demgegenüber stünden jedoch die ebenfalls gravierenden Folgen für Leib und Leben einer Vielzahl vom Coronavirus Betroffener und die damit verbundene Erhaltung der Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems Deutschlands. Daher seien die angeordneten Schließungen verhältnismäßig, zumal die Landesregierung die Notwendigkeit der Maßnahmen und deren Auswirkungen fortlaufend überprüfe.

 

Corona-Verordnung bleibt anwendbar

Die Erfolgsaussichten des Normenkontrollantrags in der Hauptsache seien daher im Hinblick auf die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Rechtsgrundlagen im Infektionsschutzgesetz offen. Eine einstweilige Anordnung, die Corona-Verordnung vorläufig außer Kraft zu setzen, könne nicht ergehen. Eine solche Anordnung setze ein deutliches Überwiegen der von der Antragstellerin geltend gemachten Belange gegenüber den von dem Antragsgegner vorgetragenen gegenläufigen Interessen voraus. Daran fehle es wegen der hohen Bedeutung des Schutzes von Leib und Leben.

 

Der Beschluss vom 9. April 2020 ist unanfechtbar (Az. 1 S 925/20).

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